Sharer oder Schnorrer

Nutzen statt Besitzen soll ja der neue Trend sein. Sich was vom Nachbarn leihen, heißt jetzt „Sharing Economy“ und klingt damit gleich irgendwie viel hipper. Und wenn man weniger kaufen will, ist das wirklich eine verlockende Alternative. Theoretisch zumindest. Praktisch gesehen hat die Sharing Economy ihre ganz eigenen Herausforderungen.

Unser letzter Sharing-Versuch betraf eine Skibrille für die Kinder. Wir sind keine Skifahrer, sind aber trotzdem auf ein Hüttenwochenende mitgefahren, weil so viele nette Freunde dabei waren. Also musste zumindest für die Kinder, die mit ihren Freunden einen Skikurs machen wollten (wir boykottieren diesen Sport weiterhin) etwas Equipment aufgetrieben werden. Gekauft werden sollte natürlich nichts und in der Online-Ausleihliste der Skischule kamen Skibrillen leider nicht vor.

Da viele befreundete Familien bei dem Wochenende dabei waren, schieden gleich mal eine ganze Reihe weiterer potentieller Ausleiher aus. Also mussten wir mit unseren Anfragen schon auf den weiteren Bekanntenkreis ausweichen. Wir haben ein recht ausgedehntes soziales Netzwerk. So ausgedehnt, dass wir es (wie vermutlich alle Alltags-gestressten Familien) nicht immer schaffen, so kontinuierlichen Kontakt zu halten, wie wir das gern würden und es all diese lieben Menschen auch verdient hätten. Beim Scannen meiner Handy-Kontaktliste nach potentiellen Skibrillen-Verleihern schränkte diese Überlegung die Auswahl gleich weiter ein. Seit Monaten nicht gemeldet, immer noch nicht wie geplant zum Erstbesuch in die neue Wohnung eingeladen, neulich erst wieder eine liebe Einladung wegen Terminüberschneidung mit irgendwas anderem abgesagt und jetzt wegen einer Skibrille andackeln?

Da kam es mir dann doch konsequenter vor, das Problem als echte Sharing-Lösung anzugehen und Leute anzufragen, mit denen man eigentlich weniger zu tun hat. Zum Beispiel andere Kindergarten- oder Mitschülereltern. Also fragte ich immer wieder mal ungezwungen, wen ich so traf und stellte fest, dass es doch mehr Nicht-Skifahrer gibt, als ich erwartet hatte. Die Zeit bis zur Hütte wurde knapper, die Frage der Skibrille stresste mich zunehmend und zwang mich zu einer Intensivierung meiner Sharing-Versuche. Also schrieb ich SMS mit meiner Frage an Menschen, die eigentlich nicht zu meinem engsten Bekanntenkreis gehören. Also auch an Menschen, die sich vielleicht über so eine Anfrage etwas wundern könnten. Das kostete wirklich einige Überwindung und ich fühlte mich ehrlich gesagt wie ein Schnorrer. Ich kann ja schlecht allen schreiben, hör mal, wir machen eine Kaufdiät und können uns zwar natürlich selbst auch eine Skibrille leisten, aber wegen unserer Regeln… und halten darüber hinaus die Anschaffung für einen so gelegentlichen Einsatz wie unseren für ökologischen Unsinn. Das alles ist ja schließlich nicht das Problem unserer Bekannten, für die so ein Verleihen ja auch mit etwas Aufwand verbunden ist: SMS beantworten, Termin zu Übergabe und Rückgabe finden, Skibrille rauskramen.

Damit ich mich nicht ganz so aufdringlich fühlte, fragte ich erst bei Leuten an, denen ich auch schon mal Gefallen getan hatte. Aber auch das fühlte sich irgendwie seltsam an, so als würde ich das jetzt ausnutzen. Ich bin ein sehr hilfsbereiter Mensch, aber umso schwerer fällt es einem vielleicht, um irgendeine Form von „Gegenleistung“ zu bitten. Obwohl es ja eigentlich keine Gegenleistung sein soll, sondern einfach nur ein Gefallen, nämlich eine blöde Skibrille, die bei irgendwem ja sowieso dieses Wochenende ungenutzt rumgelegen wäre.

Ich weiß nicht, wie die anderen Leute meine Anfragen empfunden haben. Ich jedenfalls finde Sharing Economy zwar theoretisch wahnsinnig sinnvoll, aber praktisch auch wahnsinnig anstrengend. Organisatorisch, logistisch und emotional. Ich bin deswegen sehr dankbar, dass aus der Sharing Economy zunehmend eine echte „Economy“ zu werden scheint. Meine Lieblingslösung sind kommerzielle Angebote. Beim Car-Sharing muss ich niemand um sein Auto anbetteln. Beim Verleih der Skischule kann ich einfach ohne schlechtes Gewissen buchen. Da bin ich Kunde und kein Schnorrer.

Oder wir müssen nochmal anders über das Thema nachdenken. Wie kann private Sharing Economy so organisiert werden, dass man sich nicht als Schnorrer fühlen muss? Plattformen wie Leih-Dir-Was sind deswegen echt genial, aber noch zu wenig genutzt: In 20 km Umkreis zu uns gabs keine einzige Skibrille zu leihen.  In unserer ganzen Stadt (immerhin eine Großstadt mit mehreren Hunderttausend Einwohnern) gibt es dort aktuell nur drei Sportgeräte und 14 Werkzeuge zu leihen (7 davon von einem Überzeugungstäter aus einer kleinen Umlandgemeinde eingestellt). Dagegen kein einziges Elektrogerät! Kein einziges Kostüm! Wir leben in einer Sharing-Wüste!

Das ist schade, denn der Unterschied ist, dass man dort aktiv selbst seinen Verleih-Willen kundtut. Das erspart der Gegenseite die Bitte und macht Sharing damit erst wirklich attraktiv. Ich habe mir vorgenommen, dass wir dort jetzt auch das ein oder andere einstellen, um das Angebot in unserer Stadt mal etwas auszuweiten. Und damit wir von Schnorrern zu Sharern werden.

Die Skibrille, die wir schließlich ausgeliehen haben, haben wir dann übrigens gar nicht gebraucht. Das Wetter war nämlich zu schlecht zum Skifahren. Auf der Hütte wars trotzdem schön. Und die Brillenverleiherin hat Pralinen von uns Schnorrern als Dankeschön bekommen.

Autor: Familie auf Kaufdiät

Wir sind volle Schränke und leere Kassen leid und halten den täglichen Konsumwahnsinn für eines der wesentlichen Probleme dieses Planeten. Deswegen gönnen wir uns als vierköpfige Familie nur noch den Kauf von einer Sache pro Monat. Gar nicht so einfach! Aber eine spannende Erfahrung!

6 Kommentare zu „Sharer oder Schnorrer“

  1. Die Erfahrung, die wir selbst mit dem Verleihen von Dingen gemacht haben, waren leider auch nicht positiv. Das betraf Gartengeräte, auch Schwangerschaftskleidung, Kinderkleidung u.ä. Ich erwarte als Verleiher dann vom Leihenden, dass die Dinge sorgfältig behandelt werden und in gepflegtem Zustand zurückgegeben werden. Leider war das häufig nicht der Fall, so dass mir die Freude am Verleihen ziemlich vergangen ist. Auch bei Carsharing-Fahrzeugen – also professionellem Leihen – war es oft so, dass wir erst den Müll der Vornutzer aus dem Auto geräumt haben, bevor wir losfahren konnten. Ich glaube mittlerweile, dass viele Leute niemals gelernt haben, was es heißt, einen Gegenstand pfleglich zu behandeln, um dessen Lebensdauer zu verlängern. Ist ja eh egal, kauft man halt was Neues. Diese Einstellung ist mMn ein Stolperstein auf dem Weg zur Sharing Economy.

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    1. Das ist wirklich schade! Bei den Autos habe ich eigentlich gute Erfahrungen gemacht – klar, ich habe auch schon mal ein Auto gesaugt, dass wir nicht so dreckig gemacht haben. Dafür haben wir sicher auch mal Krümel hinterlassen… Da denke ich immer, das gleicht sich dann schon irgendwie aus, wenn alle sich etwas Mühe geben.
      Bei privatem Verleihen bin ich auch eher nachsichtig, wenn mal was kaputt geht. Das kann ja passieren und gerade bei Kinderkleidung, na ja… Bei unserer Bohrmaschine wäre ich da schon sensibler. Vor allem wenn man es Fremden leiht. Na ja, mal sehen, was wir für Erfahrungen machen.
      Viele Grüße
      Martina

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    2. Beim Carsharing habe ich nur positive Erfahrungen gemacht, war alles immer ok und sauber.
      Beim Verleihen privat ist aber auch schon mal was schiefgegangen.
      Mein Vater hat schon mal eine Matratze, die er verliehen hat, weil diejenigen Besuch bekamen, mit einem (stinkenden!) Urinfleck zurückbekommen. In solchen Fällen ist die Freundschaft dann passé. Keine Ahnung, was solche Leute sich dabei denken. Ich meine, es kann passieren, daß ein Kind nachts ins Bett macht. Aber dann muß man entweder dafür sorgen, daß alles wieder sauber wird, oder falls das nicht geht, für Ersatz sorgen. Aber die Matratze wieder zurückschaffen und den Fleck nach unten drehen, damit man’s nicht sofort merkt, ist schon wirklich unter aller @%$&%/&=()/!

      Bei solchen Aktionen lernt man u.U. wirklich kennen, was das für Leute sind und ob ihnen was an einem guten Verhältnis mit dem Verleiher liegt. Und das wird wahrscheinlich nicht besser, wenn Fremde das leihen – es sei denn, es gibt Bezahlung und eine Art Versicherungsregeln.

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      1. Ach, das ist ja wirklich ärgerlich! Aber so was passiert. Ich habe gerade erst beim Carsharing-Auto dem Rückscheinwerfer beim Gepäckeinladen aus Versehen nen Sprung verpasst. Shit happens. Habe den Schaden gleich gemeldet. Na ja, und wenn es mein eigenes Auto wäre, müsste ichs ja auch zahlen.
        Ich glaube, dass dieses Risiko zum Verleihen dazu gehört. Deswegen bin ich, wenn ich was verleihe, recht entspannt. Wenn es kaputt geht, kann man es vielleicht reparieren. Und wenn nicht: Wollte ich nicht ohnehin minimalistischer leben? Ich gehe – auch dank Kaufdiät und Minimalismus – mit materiellen Dingen inzwischen viel distanzierter um. Ich würde deswegen jedenfalls keine Freundschaft aufs Spiel setzen. Wenn mir so was wie mit der Matratze passieren würde, würde ich mich erstmal fragen, ob mir viel an diesen Menschen liegt. Wenn ja, würde ich versuchen, es zu klären. Vielleicht schämen sie sich einfach? Ist ja auch peinlich, oder? Ich bin jedenfalls auch lieber auf der Verleiherseite als auf der Leiherseite, vor allem wenn was kaputt geht. Oder vielleicht haben sie grade kein Geld, um den Schaden auszugleichen? Will ja auch nicht jeder so zugeben. Wie gesagt, wenn es wichtige und liebe Menschen sind, würde ich wegen einer Matratze nicht die Freundschaft aufs Spiel setzen.
        Vielleicht haben mich auch viele Jahre WG-Leben zu dieser Haltung verholfen. In WGs geht ständig was kaputt. Und fast immer trifft es die Lieblingstasse, den Lieblingsteller… Oder die dritte Grillzange geht schon wieder auf am Baggersee verloren. Und klar, wars dann wieder keiner… Wenn ich da schusseligen Mitbewohnern immer gegrollt hätte, hätte ich viele glückliche Jahre WG-Leben verpasst. Vielleicht ist das auch eine wichtige, minimalistische Erkenntnis?

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  2. Hm, ich weiß nicht, ich finde schon, es gehört sich so, daß man dann (mehr oder weniger schamvoll) zugibt, was passiert ist. Oder um bei dem Fleck zu bleiben, wenigstens VERSUCHT, das Malheur zu beheben. Es gibt ja auch Schaumreiniger, etc., mit denen man so einiges rauskriegt. Nee, sie haben’s zurückgebracht und so getan, als wäre nix. Das bedeutet für mich, dass SIE gezeigt haben, daß ihnen an der guten Beziehung nichts liegt, nicht der Verleiher, der dann sauer ist.
    Klar kann mal was passieren. Ich finde aber, man kann von demjenigen, dem es passiert ist, etwas Ehrlichkeit erwarten und ggf. auch Bemühungen, den Schaden zu beseitigen oder zumindest zu begrenzen. Wie bei Dir halt mit dem angeknacksten Scheinwerfer…

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    1. Ja, da hast du bestimmt den besseren Einblick, wie das genau gelaufen ist. Da macht dann ja der Kontext auch viel aus. Ich wollte nur dafür werben, dass man Dinge nicht so wichtig nimmt. Gerade beim Verleihen, sonst macht man sich schnell unglücklich…

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